samstag 8 okt 18:00 & sonntag 9 okt 17:00 | filmmuseum
No Wave: Harald Vogls „New York Trilogie“
Der 1953 in Wien geborene Harald Vogl wurde unter dem Namen Harald V Uccello als bildender Künstler bekannt, u.a. für seine gezeichneten „Katzen der Atalante“, eine Hommage an Jean Vigo, auf die Leinwand gebracht in Karl Heils gleichnamigem Film. Vogl kam in den Siebzigerjahren an die Münchner Akademie der Künste, wo er bei Günter Fruhtrunk Malerei studierte. Am Ende seines Studiums zeigte er weiße Leinwände, „leere Bilder“, Scharnierwerke zu seinem bereits angebrochenen intensiven Filmschaffen, das bis 1988 anhielt. „Die weißen Bilder waren für mich der Versuch, den Nullpunkt an Originalität zu malen. Das einzige, was mich noch störte, war, dass das Ergebnis dauernd sichtbar an der Wand hing. Der Film kam mir da entgegen. Die einzelnen Bilder waren nur mehr für so und so viele Augenblicke sichtbar; keiner konnte sie für sich haben, sie gehörten allen.“ (Aus einem Interview mit Tom Wimmer in der Zeitschrift „24“, Nr. 1, Herbst 1991)
Zwischen 1975 und 1987 erstellte er mehr als 20 Film-Unikate als derart gefasste immaterielle Malerei, meist in Super-8. „Diese Filme waren No-Budget-Filme. Eine S-8-Kamera war leicht zu haben, das Filmmaterial war billig, die Freunde waren Feuer und Flamme. Du konntest loslegen, ohne Erklärungen abzuliefern. Du konntest einen fertigen Spielfilm machen und im Kino vorführen. So wie du eine Reihe von Bildern malst und sie ausstellst. Es gab keine Drehbücher und lange Reden. Es war Modellbau von Freiheit.“
Vogl / Uccello ging bald nach New York. Dort kam er in Kontakt mit der „No Wave“-Szene im Umfeld des legendären Club 57 in East Village und wurde Teil der Post-Punk-Periode und des „Cinema of Transgression“. 1975 zeigte er seine Filme erstmals in Jonas Mekas’ „Anthology Film Archives“, noch bevor er mit „Only You“ (1981), „OK Today Tomorrow“ (1983) und „Measure Taken“ (1984) eine New-York-Trilogie schuf, der „Dear Jimmy“ (1978) vorangegangen war, ein Klassiker des No Wave. Seine Freunde wirkten als Darsteller mit, darunter die Underground-Ikone Patti Astor, Jim Jarmusch, selber Jahrgang wie Vogl, der gerade mit dem Filmemachen begann, der Filmemacher und No-Wave-Akteur Diego Cortez, der Schauspieler Gary Indiana (der später mit Christoph Schlingensief und Udo Kier zusammenarbeitete) und die Künstlerin Bibiena Houwer, die später mit Werner Schroeter arbeitete. Sie alle spielten die fiktiven Filmfiguren, gleichzeitig auch sich selbst und gelangten so zu einer „eigenartigen Präsenz“, die wörtlich zu nehmen ist: „Sie sind wirklich da in ihrer Art, der Eigenart ihrer Person. Das Fiktive geht völlig im Dokumentarischen auf – oder eher: eins ist ganz im andern aufgehoben.“ (Johannes Beringer, „New Filmkritik“)
Underdox zeigt die „New York Trilogie“ in den vom Museum of Modern Art restaurierten Kopien als deutsche Erstaufführung.
Samstag, 8. Oktober 2022, 18.00 Uhr | Zu Gast: Harald Vogl
Dear Jimmy | USA 1978 | R: Harald Vogl | B: Harald Vogl | K: Harald Vogl, Seth Tillett | T: John Lurie | D: Anya Phillips, Peter Wiese, James Chance, David McDermott, Becky Johnston, Eric Mitchell, Patti Astor, Pat Place, Laura Kennedy, Kathy Acker, Duncan Smith, Trixie Salke, James Nares | 63 Min | engl. OF | digital von Super-8
Ein Filmemacher aus Europa entwickelt in der New Yorker Post-Punk-Szene ein Filmprojekt, in dem sich die Mudd-Club-Begründerin Anya Phillips weigert, als Anna Karina in einem weiteren Godard-Remake aufzutreten. Schauspieler Eric Mitchell spricht ein Manifest für No-Budget-Filme, und in Interviews für den Film im Film kommt die geballte Szene der No-Wave-Ära zu Wort.
Only You | USA 1981 | R: Harald Vogl | B: Harald Vogl, Bibiena Houwer | K: Harald Vogl | T: Bibiena Houwer | D: Patti Astor, Eric Mitchell, Diego Cortez, Jim Jarmusch, Gary Indiana, Earl Garett Jr., Raoul Mignuchi, Massimo Audiello, Susan Enslin, Diego Cortez, Chris Parker, Jim Jarmusch | 69 Min | engl. OF | digital von Super-8
In diesem Murder Mystery sind die Genreelemente nur Vorwand für eine Reihe eindringlicher, latent homo-erotischer Begegnungen. Der Film noir verkehrt sich hier ins Gegenteil: Statt Schattenwürfe in nächtlichen Gassen zeigt Vogl im Dokumentarstil die unbeschriebenen sonnigen Straßen von Brooklyn, Manhattan und City Island. Mit Jim Jarmusch und Diego Cortez als leidenschaftslose Polizeidetektive.
Sonntag, 9. Oktober 2022, 17.00 Uhr | Zu Gast: Harald Vogl
OK Today Tomorrow | USA 1983 | R: Harald Vogl | B: Harald Vogl, Seth Tillett, Bibiena Houwer | K: Seth Tillett | D: Joan Waltemath, Terence Sellers, Arto Lindsay, Jef Bretschneider, Tom Wright | 90 Min | engl. OF | digital von Super-8
Eine Serie von Begegnungen unter vier mondänen New Yorkern inszeniert spannungsgeladene Momente jugendhafter Angst. Die lose gesponnene Erzählung weicht schließlich der Inszenierung der urbanen Landschaft, die Darstellerin in eigener Sache wird.
Measure Taken | USA 1984 | R: Harald Vogl | B+K: Harald Vogl, Andrew Bergen, Joan Waltemath, Seth Tillett | D: Jessica Nares, Earl Garett Jr., Tom Wright, Jan Reds, die Einwohner von Mukden (Shenyang/ New Prosperity) | 81 Min | engl., chin. OF (engl. UT) | digital von Super-8
Vogls letzter Spielfilm vollzieht die Hinwendung zum Essayfilm im Stil des Cinéma Vérité. Anti-Kriegs-Proteste, Besucher des Vietnam-Memorials in Washington DC, Gewerkschaftsparaden, Marschkapellen, Street Dance und Bewohner von Chinatown in Manhattan kaleidoskopieren sich zu einer poetisch-politischen Studie von Körpern, Gewalt und der Sehnsucht nach Utopie.