Tula Roy, Peider A. Defilla
Was haben Tula Roy und Peider A. Defilla gemeinsam, außer den Schweizer Pass? Die Antwort lautet: Christoph Wirsing. Der Kameramann hat mit den in und um München lebenden Schweizer Filmschaffenden gearbeitet, immer wieder, als stetiger Werkbegleiter. Zum 90. Geburtstag von Tula Roy und zum 70. Geburtstag von Peider A. Defilla laden wir zu einem Schweizer Doppel ein, zu zwei unterschiedlichen Werken, die jeweils die Signatur ihrer Entstehungszeit in sich tragen. Übertitelt haben wir das Programm mit „Gesten der Avantgarde“. Tula Roy gehört zu den profiliertesten Frauen der Schweizer Filmszene, die mit ihren Milieustudien im feministischen Underground Geschichte geschrieben hat. Peider A. Defilla ist einer der herausragenden Videopioniere der europäischen Avantgarde sowie Komponist und Arrangeur der „Video-Oper“. In einem Experiment führen wir beide Persönlichkeiten zusammen, verbunden durch den Münchner Kameramann Christoph Wirsing. |
Tula Roy | Feministischer Underground
Tula Roy Geb. 1934 in Bueriis, Italien. Ausbildung als Fotografin in Basel. Freiberuflich tätig für Presse, Architektur und Industrie. F+F Filmkurse Hochschule für Gestaltung Zürich. Freischaffende Filmemacherin. Lehrtätigkeit am Pestalozzianum Zürich.
Filme Lady Shiva 1975 | Lieber ledig als unverheiratet 1978 | Jugend und Sexualität 1979 | Ich möchte Bundesrat werden 1981 | Liebe – einfach kompliziert 1992 | Eine andere Geschichte 1993 | Mittendrin 2002 | Spiel mit dem Sand 2003 | Selbstbestimmt leben 2004 | Seiltänzer 2006 | Cesare Ferronato 2008
Lady Shiva oder: „Die bezahlen nur meine Zeit“
R: Tula Roy | K: Christoph Wirsing | CH 1974 | 40 min | DCP von 16mm-Blow-up
Mit Irene Staub
Anlässlich des internationalen Jahres der Frau 1975 realisierten Zürcher Künstlerinnen die Ausstellung „Frauen sehen Frauen“. Der einzige filmische Beitrag porträtiert Irene Staub: Sexarbeiterin, Mutter, Model, Sängerin, Schauspielerin – in Ulrike Ottingers MADAME X – und eine schillernde Figur im protestantischen Zürich.
„Die Schweizer Filmemacherin Tula Roy ist längst als eine Schlüsselfigur des feministischen und engagierten marxistischen Kinos Europas wiederzuentdecken. Zunächst als Fotografin tätig, war ihre erste größere Filmarbeit dieses auf Super-8 gedrehte Portrait von Irene Staub, die sich unter dem Künstlernamen Lady Shiva in extravaganter Aufmachung als Edelprostituierte inszenierte. Als Zürcher Marilyn Monroe reüssierte sie auch als Model sowie in der Kunstszene. Die Bilder von LADY SHIVA beschreiben hauptsächlich Alltagsszenen, auf der Tonspur erzählt die Protagonistin in spontanen Interviews von sich. Dazwischen offenbaren sich die Einsamkeit und Nöte hinter der Kunstfigur.“
(Christoph Huber, Österreichisches Filmmuseum)
Peider A. Defilla | Video-Oper
Peider A. Defilla Geb. 1954 in Zürich, aufgewachsen im Engadin, Matura in Vaduz. Musikstudium (Orgel, Violine, Komposition) in der Schweiz. Studium an der Akademie der Bildenden Künste München (Malerei & Objektkunst) sowie an der Universität München (Philosophie, Theaterwissenschaft, Phonetik und sprachliche Kommunikation) 1987 Gründung von B.O.A. Videofilmkunst. Teilnahme seiner Filme und Kompositionen u.a. bei Solothurner Filmtage, EXPRMNTL 5,
Filmfestspiele Leipzig, Biennale Berlin, musica viva, Dokumentarfilmfestival München, Donaueschinger Musiktage
Filme der 70er (Auswahl)
et exspecto resurrectionem mortuorum 1974 | CO-INCIDENCE, PHANTASMA 1975 | Rauchen und Hantieren mit offenem Licht und Feuer verboten 1977 | Visual structure no. 1 1978 | Test-signale 1980
Weitere Werke (Auswahl) Donausmusik 2001 | Kabel Deutschland – Alles aus einer Dose 2007 | musica viva – Forum der GegenwartsmusiK 2007-2010 | B.O.A. Videofilmkunst – Image ’09 (Internetfilm) 2009
Donaumusik
R + Komposition: Peider A. Defilla | DE 2001 | 45 min
K: Bernd Meiners | Szenenfotos: Christoph Wirsing
Mit Michael Lentz, Ruth Geiersberger, Ulrich Müller, Zoro Babel, Friederika Riechert, Reza Memari, Lucas Linke, Peider A. Defilla
„Live-Schaltungen zu allen Studios dieser Welt sind jederzeit erwünscht.“ (Peider A. Defilla)
Die Video-Oper „Donaumusik“ befasst sich mit der Wertschätzung des individuellen Komponierens in einer durch akustische und
visuelle Überreizung extrem gestressten Gesellschaft und beantwortet diese Frage mit den Mitteln der Collage. Die Darsteller, „Player“ genannt, agieren als Individuen mit- und gegeneinander, führen lyrische und dramatische Episoden ineinander über und emanzipieren sich im Laufe der Aufführung zu einem geschlossenen Team, das sich frei wie ein Jazz-Ensemble auf der Klaviatur neuer experimenteller Möglichkeiten entfaltet.