Auch im Werkstattkino München, der Wiege von UNDERDOX, zieht sich das Thema der FRAGILITÄT auf vielschichtige Weise durch die ausgewählten Filme. Seh- und Rezeptionsgewohnheiten verschieben sich, und auch der Zuschauer, die Zuschauerin wird in den Zustand der Fragilität versetzt – UNDERDOX ist das Festival, das die Augen öffnet.
MEXIKO, ARGENTINIEN: Nicolás Pereda, Heinz Emigholz
Der mexikanische Regisseur Nicolás Pereda überwältigt in FAUNA durch subtiles erzählerisches Raffinement. Ein Darsteller der Serie „Narcos“ trifft auf einen Literaturversessenen mit gelbem Reclam-Buch, als er in einem einsamen Dorf in Mexiko Zigaretten kaufen möchte.
In Heinz Emigholz‘ neuestem Geniestreich THE LOBBY bewohnt ein „Old White Male“ die Lobbys verschiedener Apartmenthäuser in Buenos Aires. Absurd, grotesk, dann wieder sehr vernünftig äußert er sich in einem Monolog über den Tod, das Bewusstsein und die menschlichen Beziehungen.
BLUTSAUGER: Norbert Pfaffenbichler, Tim Leyendekker, Julian Radlmaier
UNDERDOX macht auch keinen Halt vor Genre-Kino. Verstörend wirken die fragilen Figuren in Norbert Pfaffenbichlers Horror-Stummfilm „2551.01“ (Deutsche Premiere), in dem „alles dreckig ist, kahl, kalt, abgeranzt, aber mehr noch sind die Menschen nicht nur in Lumpen ‚gekleidet‘, ihre Körper zerfallen geradezu in Fetzen. Der Film ist lupenreiner Gore, der auf die Abstoßung setzt und den menschlichen Geist in eine wilde Geisterbahnfahrt versetzt.“ (artechock)
In seinem inszenierten Dokumentarfilm FEAST umkreist Tim Leyendekker anhand des „Groningen HIV Case“ die pervertierten und dennoch humanen Schattierungen eines tödlichen Liebesverhältnisses.
In BLUTSAUGER von Julian Radlmaier (Abschlussfilm) bahnt sich eine sommerliche Romanze auf unsicherem Terrain an: Vampire loten die körperlichen und spirituellen Grenzen zur Zeit von Eisenstein und Trotzki aus.
DOKUMENTARISCH: John Gianvito, Thomas Ash, Claire Angelini
In HER SOCIALIST SMILE erzählt der große amerikanischen Dokumentarfilmer John Gianvito mittels Ton-, Film- und Schriftdokumenten von der Sprach- und Gedankenfindung der taubblinden Helen Keller (1880–1968), die zu einer der wichtigsten antikapitalistischen Intellektuellen wurde.
Mit versteckter Kamera fing Thomas Ash fürUSHIKU im Abschiebegefängnis bei Tokio die kompromisslose Flüchtlingspolitik und einen der menschenrechtlichen Skandale des Landes ein.
In Claire Angelinis THE TIME OF OTHERS suchen Archäologen am Mont Beuvray in Burgund nach Resten unserer früheren Menschheit. Die Landschaft legt ein vielschichtiges Zeugnis der kulturhistorischen Migration ab.
FREUNDE: Ted Fendt, Caroline Pitzen, Ludwig Wüst, Guillermo Benet
Der Meister der Lakonie Ted Fendt war vor zwei Jahren „artist in focus“ von UNDERDOX. In seinem neuesten Film OUTSIDE NOISE geht es um die rastlose Daniela, die gerade von einer Auslandsreise zurückkehrt und sich jetzt ziemlich orientierungslos mit zwei Freundinnen durch Wien treiben lässt.
Der vielfältige Kiez, in dem die jungen Protagonist*innen aus Caroline Pitzens Debütfilm FREIZEIT ODER: DAS GEGENTEIL VON NICHTSTUNaufgewachsen sind, ist eine einzige große Baustelle, auf der die Menschen den Träumen der anderen weichen müssen. Sie lassen sich durch Berlin treiben und fragen sich, wie man in dieser Stadt in Zukunft leben kann.
Ludwig Wüst überlässt in 3.30 PM das Filmen teilweise einer Bodycam. Zwei Freunde, Martin und Anthony, treffen sich nach 15 Jahren wieder, eine traumatische Erfahrung kommt zurück.
In seinem Debütfilm LOS INOCENTES setzt der Spanier Guillermo Benet die berühmte multiperspektivische „Rashomon“-Erzählweise ein. In einem besetzten Haus wird ein Konzert jäh durch einen Polizeieinsatz unterbrochen und die jungen Menschen werden in eine gewalttätige Auseinandersetzung getrieben. Am Ende gibt es keine Gewissheiten, selbst die Wahrheit ist fragil.